Wenn der Sohn dem Lover der Mutter droht: „Hau ab – sonst wirst du’s bereuen!“
Mit fast 50 macht sich Armin (Francis Fulton-Smith) zu Recht Gedanken über das, was in Sachen Beziehung noch gehen könnte im Leben. Nachdem seine Jugendliebe mit ihm vor ein paar Jahren Schluss gemacht hat, wohnt der penible Bauzeichner wieder bei seiner Mutter (Peggy Lukac). Weil er nur auf die nette Tour kann, wird er von allen belächelt und übervorteilt; er ist im Job zwar der Beste, wird aber dennoch nicht befördert, und Frauen finden diese stoffelige Art auch nicht gerade sexy. Eine Ausnahme ist die Blumenhändlerin Tina (Carin C. Tietze): Endlich mal eine, die über seine Witze lacht! Die sich gut anlassende Love-Story besitzt allerdings bald einen übermächtigen Störfaktor: Er hört auf den Namen Hendrik (Florentin Will), ist der 27jährige Sohn von Tina – und wohnt noch zu Hause. Doch damit nicht genug. Der junge Mann, der sich als Künstler versucht und sich mit seinem Asthma immer wieder wirkungsvoll in Szenen setzt, gibt Armin unmissverständlich zu verstehen, dass er das Hotel Mama nicht räumen wird. „Hau ab – sonst wirst du’s bereuen!“, zischt er ihn an, wenn seine Mutter mal nicht in der Nähe ist; ansonsten spielt er den lieben Sohn. Schlechte Karten also für einen ängstlichen, notorisch konfliktscheuen Menschen, der nirgends anecken möchte. Also doch besser Mutters Angebot, seine geschiedene und sehr verzweifelte Halbcousine (Laura Lo Zito), in Augenschein nehmen? Oder sollte er kämpfen für sein Glück? Aber ist er diesem Hendrik überhaupt gewachsen? Beim letzten Freund seiner Mutter hat er jedenfalls ernst gemacht mit der Drohung „Ich mach’ dir dein Leben zur Hölle!“
Das peinliche Verhalten eines geschlechtsreifen Großstädters nach der Paarungszeit
Nach dem ARD-Weihnachtsfilm „Der Wunschzettel“ erzählt eine Woche später auch die Komödie „Der Nesthocker“ von zwei Übriggebliebenen; allerdings sind die zwei sich nach Liebe Sehnenden rund zehn Jahre älter und damit auf dem besten Weg in Richtung Resterampe. Er, ein Schisser, der sich vor lauter Unsicherheit gern um Kopf und Kragen redet; sie, eine Helikopter-Mutter, die nicht loslassen kann und die die Augen vor der Wirklichkeit verschließt. Autor Claudius Pläging („Der Vorname“) hat einige erprobte narrative Bausteine kombiniert zu einer an Tonlagen reichen Geschichte. Am Anfang steht Armin, der Mann, der nicht nein sagen kann, der es noch weniger vermag, mal mit der Faust auf den Tisch zu hauen und der tausend Ausreden dafür findet, eine Frau kennenzulernen, obwohl er es sich doch so sehr wünscht. Dieser Bauzeichner von der traurigen Gestalt ist anfangs schon eine Figur zum Fremdschämen, darüber hinaus ist es noch die Hauptfigur – und man fragt sich, wie man dieses peinliche Verhalten dieses offensichtlich immer noch geschlechtsreifen Großstädters nach der eigentlichen Paarungszeit fast 90 Minuten aushalten soll. Wenig später bekommt die komödiantische Handlung einen leicht romantischen Touch, bevor sich der Sohn der Angebeteten als der wahre „Nesthocker“ entpuppt, einer, der Furcht und Schrecken verbreiten kann und der bei einem wie diesem Armin leichtes Spiel hat. Als Zuschauer bekommt man langsam Mitleid mit dem gebeutelten Möchte-so-gern-Romantiker. Das liegt vor allem daran, wie konsequent „daneben“ Francis Fulton Smith ihn verkörpert: Dieser Mann im Pullunder und mit geschniegelter Pomadenfrisur kann lange Zeit nicht raus aus seiner Haut. Lieber lässt er die Frau gehen, die für ihn die große Liebe sein könnte, als dass er sich den unverschämten Gehässigkeiten des Horror-Sohnes länger aussetzen würde. Und als er dann doch mal Tacheles redet, kommt er natürlich nicht an gegen die Liebe, die die Mutter für den Sohn empfindet.
Vom sich Dumm stellen in Komödien und vom Warmwerden mit der Hauptfigur
Nach dem emotionalen Höhepunkt, einem durch den Sohnemann gestörten Wellness-Wochenende des Liebespaares, muss dann auf der Zielgeraden irgendwie die Versöhnung eingeläutet werden, damit dieser ARD-„Freitagsfilm“, im November und Dezember 2017 in Köln und Umgebung gedreht, ein Jahr später gut ins Vorweihnachtsprogramm passt. Wie häufig in Komödien haftet dieser Wandlungs- und Läuterungsphase auch in „Der Nesthocker“ etwas Konstruiertes an, was allerdings bei diesem Genre nicht unbedingt von Nachteil sein muss. Dadurch erkennt man die Fäden, an denen die Figuren aufgezogen sind. „Glaubwürdigkeit“ ist nicht das höchste Ziel einer Komödie – einer Komödie wie dieser, müsste man ergänzen, denn es gibt auch andere, die deutlicher dem Alltag abgelauscht sind und deren Figuren auf Augenhöhe mit dem Zuschauer agieren (insbesondere die Fernsehfilme, die man heute gerne als Dramödie bezeichnet), anstatt sich „dumm und dümmer“ zu verhalten, damit die Komödienkonstruktion aufgeht. In diesem Fall ist die doppelt Angebetete Tina eine solche Figur:mehrTyp als Charakter hat sie offenbar die letzten Jahre nicht mitbekommen, was ihr Sohn für „ein manipulativer Lügner“ ist. Doch schlimmer noch für den Zuschauer: auch in den Dreier-Szenen kapiert sie so gut wie nichts. So etwas mag funktionieren in Sitcoms mit dem entsprechenden Tempo, in einem Langfilm hingegen, einem Format, das heute in der Regel realitätsnäher angelegt ist, fühlt man sich erinnert an eine Komödien-Tradition, an die man besser nicht erinnert sein möchte. Dass Armin seine Noch-Freundin nicht über ihren Sohn aufklärt, ist hingegen plausibel: So durcheinander dieser Angsthase auch sein mag, er ist Realist genug, um zu wissen, dass sie ihm nicht glauben wird und dass er gegen ihren Sohn keine Chance hat. Dass diese Komödie, die in ihren besten Momenten an die Kinofilme von Judd Apatow („Jungfrau (40), männlich, sucht …“ / „Immer Ärger mit 40“) erinnert, doch nach und nach in die Gänge kommt, liegt am bereits erwähnten Warmwerden mit der Hauptfigur (inklusive Fulton Smith), an dem besonderen Genre-Mix, zwischenzeitlich aufgepeppt mit märchenhaften Momenten und Psychothriller-Effekten, die durch die Angst des Helden motiviert sind; es liegt aber auch an Carin C. Tietze, die ähnlich wie ihr Kollege jahrelang eher im Bieder-TV unterwegs war und vielleicht gerade deshalb eine so treffende Besetzung für diese vom Leben vergessene Single-Frau und Übermutter ist.
Eine Inszenierung & ein filmischer Flow, denen man sich nicht entziehen kann
Muss man sich in die Tonlage(n) dieser Komödie erst einsehen – so ist sie, was die Inszenierung angeht, sofort auf Betriebstemperatur. Die Locations sind sehr telegen, aber durchaus auch sehr stimmig auf die Geschichte und die Charaktere abgestimmt. Auch beim Szenenbild der mehrfachen Grimme-Preisträgerin Bettina Schmidt („Neue Vahr Süd“) erkennt man vor allem bei den privaten Räumen eine große Liebe zum Detail. Auch die Bildgestaltung von Felix Cramer („Tatort – Der Himmel ist ein Platz auf Erden“) ist für einen ARD-Freitagsfilm ungemein semantisch konzentriert und zugleich sehr atmosphärisch. Ziemlich charakterbildend ist in diesem Film selbstredend auch das Gewerk Kostüm. Und der filmische Erzählfluss ist mindestens so gut wie der narrative Flow der Geschichte; das ist bei Unterhaltungsfilmen ja nicht die Regel. So nimmt „Der Nesthocker“ in fast allen filmischen Bereichen für sich ein, obwohl doch das vermeintlich Wichtigste eines Films, die Geschichte, schwer zu „glauben“ ist. Und so hat schließlich die Machart den anfangs skeptischen Kritiker eines Besseren belehrt: Bei einer Komödie lieber die narrative Setzung zu Beginn fressen, als an ihr zu zweifeln – dann hat man auf jeden Fallmehrdavon. (Text-Stand: 21.11.2018)
Das Gegenteil von sophisticated– ein persönlicher Einwurf zum Schluss
Während des Sehens gab es etwas, was trotz positiver Gestimmtheit ob der überzeugenden Machart des durchaus unterhaltsamen Films einen gewissen Unwillen bei mir erzeugt hat. Ich bin ein großer Fan von Screwball Comedies, jener temporeichen, dialogisch ausgefeilten Beziehungskomödien, deren Figuren etwas klüger („sophisticated“) und gewitzter sind als die Figuren in dieser „Endlich-Freitag“-Komödie. „Nesthocker“ fehlen leider der doppelte Boden, die erotischen Subtexte oder das Spiel mit Sein und Schein, welches jenes Subgenre auszeichnet, aber sich auf jede andere Komödien-Gattung übertragen lässt. Alles in diesem Film erschließt sich jedem Zuschauer auf ähnliche Weise. Die Zeichen sind eindeutig, die Botschaften explizit: Es gibt keinen Interpretationsspielraum. Etwas Lubitsch-Touch könnte auch 2018 einer solchen Komödie nicht schaden.